A review by kroppzeugvertilger
Im Zauberbann des Harzgebirges. Harz-Sagen und Geschichten by Marie Kutschmann

4.0

Man sollte sich vom Klappentext nicht irreführen lassen. Weshalb ausgerechnet mythologische Figuren wie Wodan, die Asen allgemein oder Walküren für diese äußerst reizvolle Sagensammlung als Werbeträger herhalten mussten, erschließt sich mir nicht ganz. Mit grimmigen Germanen und heroischen Göttern hat man's in dieser Kollektion an Überliefertem aus dem Harz nämlich eher nicht zu tun.

Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die verschiedenen Legenden und Mären irgendwo im Spannungsfeld zwischen heidnischem Glauben und Christianisierung ihre Wurzeln haben. So ist es denn auch kaum verwunderlich, wenn die klassisch starre Dualität von Gut und Böse ziemlich genau derer zwischen gottesfurchtsamer Frömmigkeit und Edelmut auf der einen, und anarchischer Gier oder machtmissbrauchender Willkür auf der anderen Seite entspricht. Dass das freilich in ziemlich starken Gegensatz zu realen christlichen Institutionen steht, muss ich dabei niemandem erzählen.

Der Teufel in Person taucht freilich auch gelegentlich auf. Solche sind sodann auch die schönsten hier zu findenden Sagen, da sie meist den Deibel als Urheber von markanten Erdformationen beschreiben und ihm somit - ob gewollt oder nicht, weiß ich nicht - eine konkrete Erdverbundenheit angedeihen lassen. Stichworte sind hier z.B. die Gegensteine oder die Große Teufelsmühle. Sucht man diese ohnehin bereits enorm mystischen Orte auf und hat dabei die Legenden unserer Altvorderen im Kopf, gelingt es, noch tiefer in diesen, freilich romantisierten, naiven, aber urwüchsigen und naturumschlungenen Taumel zu gleiten, der vor allem im Harz so beeindruckend, manchmal vielleicht sogar beunruhigend ist ...

Und hierin liegt auch die größte Stärke von Im Zauberbann des Harzgebirges: Wenn man in diesem sprichwörtlich sagenumwobenen Mittelgebirgswald häufig unterwegs war oder ist, vermag diese Sammlung den naturgegebenen Mystizismus nochmals zu steigern. Und das ist - bilde ich mir jedenfalls ein - insbesondere dann besonders wirkungsvoll, wenn man sogar im oder nahe des Harzes aufgewachsen ist. Es ist, als tränken die eigenen, umgetopften Wurzeln nach Jahren wieder aus den Quellen des Mutterbodens, völlig gewahr eines sich im Wasser befindlichen unerklärlichen Elements, das eigentümlich, urig, einzigartig ist.

Wer also nicht nur als biederer Tourist den Harz erkundet, sondern gewillt ist, sich der Natur hinzugeben, sich aufzugeben während er umherstreift, dem sei Im Zauberbann des Harzgebirges nachdrücklich ans Herz gelegt. Denn, auch wenn die Sagen freilich einem moralischen und äußerst simplen Konzept folgen, ihre atmosphärische Quintessenz ist definitiv harzig.