A review by kroppzeugvertilger
Das Gewicht der Welt by Peter Handke

2.0

In welchem Buch steht geschrieben, wie man damit umgehen soll, wenn eine herzlich respektierte Person des persönlichen inneren Kreises eine heraufbeschworene Empfehlung ausspricht, man selbige dankend, eigentlich enthusiastisch annimmt, das Buch hingegen nach jeder zweiten Seite zerreißen möchte, weil ... - weil es eine Enttäuschung ist? Wem gegenüber darf man hier ehrlicher sein? Der guten Person oder dem schlechten Buch? Ein Dilemma, ein fürchterliches. Genau wie das fehlführend episch betitelte "Gewicht der Welt" eines ist.

Abseits dessen wurde Handke seit den ersten Semestern des vermurksten Literaturstudiums als mehr oder minder verkannter Heilsbringer der deutschen Schriftstellerei gehandelt, in einem Atemzug mit Überköpfen wie Barthes genannt und derart essentiell 'gemacht', dass ich vielleicht auch nur desillusioniert aus diesem ersten Versuch meinerseits herausgehen hätte können. Wie auch immer ...

Handke's "Journal" lässt sich sodann in etwa drei Drittel einteilen: Ein verdammt Schlechtes, ein ziemlich Versöhnliches und ein relativ Spannungsloses.

1. Drittel) Die ersten ca. 90 Seiten sind in erster Linie prätentios, ein wenig arrogant und ganz gewiss geltungssüchtig . Es wird mehr als nur deutlich, dass Handke mit sich selbst experimentiert, ein höheres Verständnis aus sich herauszukitzeln. Das gelingt ihm nicht. Während er versucht, dem Alltäglichen etwas Philosophisches abzuzwingen, sich selbst als Erkenntnisheischer zu positionieren, entfächert sich sprachlicher Dilettantismus und eben kein Auge für irgendeine Wahrheit. Über allem 'erstrahlt' ein unablässiger Ich-Fetisch. Selbst beim Beobachten von Leuten zieht sich Handke ins Geschehen hinein; trotzdem scheint er nach dem zu suchen, was außerhalb seines Dunstkreises liegt. Er ist sich folglich absolut bewusst, dass er kein 'naturgeborener Versteher' ist, will sich aber dazu machen.

"Ich möchte mir manchmal wirklich verbieten können, an etwas zu denken, z.B. an den Tod"

"Er schaut in der fremden Wohnung alles an, um etwas Neues für seine Träume zu haben"

"Der Regen auf den Augäpfeln, kühl und lindernd"


Und so fort ... Handke ist hier in erster Linie ein kitschiger Onanist.

2. Drittel) Das vergeigte Potential der ersten 90 Seiten wird sodann mit den folgenden 90 auf beinahe magische Weise rehabilitiert. Es ist keinesfalls so, dass sich Handke vom offensichtlichen Motto der geschmacksfreien Egozentrierung verabschieden will. Er scheint mittlerweile jedoch gereift zu sein. Der Fokus und damit zusammenhängende analytische Relationen wandern immer häufiger zum Objekt, dezentralisieren Handke selbst. Das, was er vorher nur vorgab zu tun, setzt er nun um; er denkt tiefgründig und wahrhaftig, und zwingt sich weit weniger zur grundlegend angestrebten Authentizität. Kaum scheißt er etwas häufiger auf sein Ego, konzentriert er häufiger auf das Geschehen abseits seines persönlichen Einflussbereichs, gelingen ihm beinahe vorzügliche, teils romantisch(-verklärte), teils schlicht gut gedachte, tatsächlich ästhetische Überlegungen:

Krokodil: Ein Tier, das, einmal erwachsen, keinen Feind mehr hat"

"Ich schoß jemandem, der mich angriff, mehrmals ins Gesicht; die Wirkung war, daß er das Gesicht eines andern bekam, mich nicht mehr erkannte und von mir abließ"

"''Wirklichkeit'' - mit einer solchen Bezeichnung wird geehrt, was am Leben hindert"


In derartigen Überlegungen, Eingebungen steckt tatsächlich so etwas wie philosophische Anmut.

3. Drittel) ...

"Langweiliges Pissoir: keine Aufschriften an den Wänden"

Wow?

Fazit: Handke's "Gewicht der Welt" war zweifelsfrei eines der herausforderndsten Bücher, die ich zuletzt lesen durfte. Dabei mag ich den aphoristischen Ansatz durchaus. Es bleibt mir jedoch schleierhaft, wie man - als Schriftsteller - tatsächlich erwarten will, dass jede einzelne geistige Blähung, jeder noch so vermeintliche Erkenntnis oder explorative Alltagsbeobachtung interessant ist. Das macht im Grunde ganz gewiss jeder Prosaiker so: er kollektiviert, verfeinert, wird sich dabei fremd. Handke jedoch spart den mühsamen Part des Verknüpfens einzelner maßgeblicher persönlicher Ergebenheiten aus, rumpelt seine punktuellen Eindrücke mit viel Kitsch und recht wenig Feingefühl herunter und macht es sich somit verdammt einfach. Mir erschließt sich daraus weder eine bahnbrechende Methode zu schreiben, noch Respekt vor der Fantasie des Lesers. Die alles überragende Frage ist: Weshalb sollte mich interessieren, was der Autor denkt, wenn er ein Butterbrot isst? Die Antwort: Mich interessiert, was der Autor beim Essen des Butterbrots zu umschreiben imstande ist. Handke will beides. Das funktioniert nicht. Jedenfalls nicht bei ihm. Ich wette, seine Romane hingegen sind sensationell ...