A review by kroppzeugvertilger
Fear and Loathing in Las Vegas by Hunter S. Thompson

4.0

Himmel hilf! Zurückblickend wüsste ich nicht einmal ansatzweise, wie oft mir die Gilliam-Verfilmung von Fear And Loathing In Las Vegas bereits ans Herz gelegt wurde. Allein davon ausgehend, dass besagter Film 1998 erschien und mir seit etwa 2002 mindestens einmal jährlich irgendjemand aus dem (freilich stets fluktuierenden) näheren Umfeld den Streifen mit in etwa folgendem Wortlaut: "Wie, echt jetzt!? Musste unbedingt gucken, ey!!" überhelfen wollte, macht die 20 Ausflüchte fast voll. Irgendwo zwischen kulturellem Anspruch und Zwangsneurose finde ich jedoch stets ein entschiedenes Nein! wenn es darum geht, Filme basierend auf Romanvorlagen anzuschauen, ohne Letztere zuerst gelesen zu haben. Geht nich', kann ich nich', will ich gar nich'.

Zum Glück! Denn bisher wurde ich nicht enttäuscht. Auch nicht beim Gonzo-Standardwerk und wohl hedonistischsten Meilenstein der US-amerikanischen Literatur: FALILV. Im Gegenteil: Thompson's Erzählstil ist schlicht und ergreifend grandios! 2021 lugt grimmig um die Ecke, das Buch selbst feiert ergo ziemlich bald Goldene Hochzeit mit der Weltöffentlichkeit und ist heuer ganz gewiss genau so aufsässig-verstörend und schillernd-zynisch wie es zum Erscheinungsdatum war. Thompson selbst ist dabei nur Transporteur eines Lebensgefühls, welches einer gewissen Unreife schlicht gar nicht entbehren kann: Was die Massen an FALILV über Generationen hinweg begeistert, ist nicht Thompson's unglaublich präziser, anti-künstlerischer, stilprägender, ja, ganze Generationen an nachfolgenden, unterschiedlichsten Subkulturen prägender Erzählstil - es ist die Identifikation mit den beschriebenen Drogenexzessen selbst, das Wiederfinden der eigenen Abgründe im Buch, die dieses - ganz bestimmte - Meisterwerk absolut zeitlos machen. Ob man als LeserIn dabei in den 40ern, 80ern oder 2000ern geboren wurde, ist völlig egal: Beinahe jede/r Jugendliche oder jugendliche Erwachsene kann sich mit den Themen Drogen, Rausch und Exzess in irgendeiner Form identifizieren. Beinahe jede/r Jugendliche oder jugendliche Erwachsene wünscht sich viel plötzliches Geld - einfach so - ein dickes, schickes Auto, keine Konsequenzen ever, Zynismus, Egomanie, Anarchie, usw. FALILV beantwortet die offenen Fragen einer Wohlstandsgesellschaft, deren einziger Lebensinhalt es ist, sich um sich selbst zu drehen: Mit weiteren Fragen. Insofern ist Thompson hier viel philosophischer als es die - meiner Meinung nach - viel zu kurz greifende "Suche nach dem Amerikanischen Traum" jemals sein könnte.

Ich bleibe also schwer beeindruckt, ja, eigentlich gerührt zurück. Es ist richtiggehend schade, dass es so lange dauern musste, bis mir Thompson und sein FALILV unter der Nase lagen. Schade vor allem deshalb: Hätte ich es mit 25 gelesen, wäre es ganz ohne Zweifel prägend für mich und meine nachfolgende Entwicklung gewesen. 10 Jahre zu spät bin ich allerdings einfach zu alt oder spießig, zu verkopft, verklemmt, verschraubt mit dem System, in dem ich funktionieren muss, um aus Fear And Loathing In Las Vegas so etwas wie Impulse herauslesen zu können - oder zu wollen. Und ich habe keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht, vernünftig oder schade ist ...

Na, immerhin kann ich jetzt endlich mal den Film gucken ... ¯\_(ツ)_/¯