A review by kroppzeugvertilger
Machandel by Regina Scheer

5.0

Wann passiert es schon einmal, dass ich ein Buch auslese und noch während der letzten Zeilen und ersten Impulse sich anbahnender Genugtuung den Drang verspüre, direkt von vorne zu beginnen? Genau, beinahe nie. Vielleicht alle fünf Jahre einmal ...

Kurzum: Machandel ist grandios! Grandios vor allem, da mich unglaublich viele Aspekte des Buches direkt oder indirekt ganz persönlich ansprechen, ich Teile meiner eigenen Familiengeschichte wiederfinde, Kindheitserinnerungen und alte Gefühle wach werden. Grandios aber auch, weil es mich aus meiner eigenen Komfortzone herausholt. Und gewiss nicht zuletzt auch deshalb grandios, weil es schlicht grandios geschrieben und erzählt ist.

Fühlte ich mich als Ostdeutscher über weite Strecken noch in meiner politischen Reaktion ertappt und angegriffen, sorgten die Schilderungen zerstörter Hoffnungen und erlebter Enttäuschungen letztlich für Versöhnung. Zumal Regina Scheer hier mit schon beinahe provokanter Einfühlsamkeit gegen den pathetischen Jubel einer Wiedervereinigung schreibt, die es so wie wir sie heute kennen, nicht unbedingt gegeben hat. Das Ende der DDR, auch wenn ich zum Mauerfall gerade einmal 5 Lenze zählte, hatte gewaltigen Einfluss auf mein und sicher jedes ostdeutsche Leben - bei dem einen direkt und früher, bei dem anderen versteckter und später. Machandel trägt auf sensationelle Weise zur objektiven Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bei.

Regina Scheer gelingt es mit ehrfurchtgebietender Finesse einen logischen, historischen Faden vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in unsere Gegenwart zu weben; eine konsequente, in sich schlüssige, erleuchtende Aneinanderkettung von Kausalitäten, erforscht anhand eines Familienschicksals.

Besonderen Reiz entfaltet dabei die Ambivalenz von Stadt und Land. Während in Berlin, in der Welt, draußen die große Geschichte geschrieben wird - lies: passiert - vollzieht sich die kleine Geschichte im titelgebenden Idyll, Machandel. Die Geschicke und Traumata der Provinz - Flucht und Vertreibung, Vergewaltigung und Tod, Kultur und Zweifel, Liebe und Natur - stehen den großen Umbrüchen in der Welt in ihren psychologischen Tiefen in nichts nach.

Dabei erzählt Scheer in einem derart wohligen Timbre, dass man die Bienen und Vögel in Machandel förmlich hören kann. Mit beseelter Ruhe und unendlicher Melancholie werden unscheinbar gewaltige Kaskaden aus Stadtflucht und Naturromantik errichtet, deren steter Fluss einer Zeitreise in die eigene Kindheit gleichkommt. Fantastisch!

Wie eingangs erwähnt, es wird nicht bei dieser ersten Lektüre Machandels bleiben ...

[Danke, A.!]